Octavia E. Butler

Autorinnen der Science-Fiction entdecken

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Octavia E. Butler entdecken

Ich habe einen Podcast gehört, der mir leider, leider eine Autorin präsentiert hat, die meiner Meinung nach auf meiner Leseliste nicht fehlen darf. Die Rede ist von Octavia E. Butler. Ein wenig habe ich auch das Gefühl, dass mir der Name nicht zum ersten Mal untergekommen ist, aber dieses Mal scheint es klick gemacht zu haben. In Folge 10 vom SPEX-Podcast mit dem Titel “Covid-19: Alles wieder ‘normal’?” 1 wurde u.a. darüber gesprochen, wo die Revolution bleibt und warum alles wieder so wird, wie es immer schon war. (Grob zusammengefasst.) Es ging dabei auch um Utopien und Dystopien und über kurz oder lang kam das Gespräch auf Octavia E. Butler und ihre Science-Fiction. Der Mensch (ich würde ihn namentlich nennen, kann aber leider die Stimmen nicht den Namen der Teilnehmenden zusortieren) beschrieb seinen Lektüreeindruck der beiden Romane The Parable of the Sower (1993) und The Parable of the Talents (1998).

Er fasst die zusammenhängenden Romane knapp zusammen: Die Geschichte findet in den 20er Jahren dieses Jahrtausends statt, von uns aus betrachtet also knapp in der Zukunft, und von Butler aus betrachtet in einer 30 Jahre entfernten Zukunft. Die Gesellschaft hat mit der Klimakatastrophe zu kämpfen, alles wurde privatisiert und Sicherheit findet sich nur noch in geschlossenen Gruppen. Als faszienierend beschreibt er vor allem, wie es Butler gelingt eine Apokalypse zu entwerfen, die nicht von jetzt auf gleich eine enorme Bedrohung darstellt, sondern als “schleichende Erosion des Systems” vonstattengeht. Hier sieht der Vorstellende sehr spannende Parallelen zur aktuellen Situation mit Covid-19. Was ihn ausserdem an Octavia E. Butlers Romanen besonders auffällt, ist ihr Bewusstsein für Komplexität von Krisen, die sie immer aus der Perspektive marginalisierter Gruppen betrachte. Er macht, als das eine Narrativ, dass sich vor allem durch ihre Romane zieht, den Konflikt zwischen Unabhängigkeit und Abhängigkeit aus. 2

Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich habe genug gehört; ich will bitte jetzt sofort Bücher von ihr lesen. Und zwar ganz unabhängig von der aufgemachten Parallele zur aktuellen Pandemie.

Octavia E. Butler suchen, Literatur beschaffen

Meine Suche startete auf einer, für eine Autorin, erfreulich ausführlichen Seite der Wikipedia. 3 (Wobei ausführlich auch schon bedeuten kann, dass sie überhaupt existiert, man erinnere sich an den Streit um die Liste von Science-Fiction-Autorinnen. 4 Und man muss auch dazu sagen, dass die Seite der englischsprachigen Wikipedia noch deutlich ausführlicher ist. 5 ) Bei Wikipedia werden Butlers Bücher sortiert nach den Reihen auf, die sie geschrieben hat. Wobei leider die Zuordnung (offensichtlich bedingt durch die Publikationspraxis) nicht bei allen Romanen eindeutig ist. Wenn man nun aber mit dieser Liste nach den im deutschen Buchhandel verfügbaren Büchern sucht, stellt man schnell fest, dass es recht überschaubar bleibt. Aber wenn ich ehrlich bin, hatte ich das auch so befürchtet. Wir haben es hier immerhin mit einer Science-Fiction-Autorin zu tun, die noch dazu hauptsächlich in den 70er-80er Jahren des 20. Jahrhunderts publizierte. Es gibt die Trilogie Xenogenisis in Einzelbänden und den ersten der beiden Parabel-Bände als E-Book auf deutsch, der einzelne Roman Kindred ist als gedrucktes Buch sofort lieferbar, und im März 2021 soll der Roman Wilde Saat erscheinen (wobei es sich um den dritten Band einer weiteren Reihe handelt) und … das wars. 6 Man kann natürlich noch schauen, was über den Großhändler (in diesem Fall KNV) an englischen Texten zu beschaffen ist, aber derzeit ist auch bei den englischen Titeln nicht viel zu holen (außer auch hier vor allem E-Books); grob die Hälfte der Printtitel haben die Meldung, dass der Nachdruck laut Verlag unbestimmt ist. Was, wie man vermutlich annehmen muss, eher bedeutet, dass keiner geplant ist. Es ist also zusammengefasst schwierig, an verlagsneue Bücher von Octavia E. Butler heran zu kommen und die Auswahl ist stark begrenzt.

Der Vollständigkeit halber sei auch erwähnt, dass selbst im Gemeinsamen Verbundkatalog (GVK) keine deutschsprachigen Texte von Butler vorliegen, die man wenigsten in einer örtlichen Bibliothek oder per Fernleihe bekommen könnte. Sucht man nach ihren Büchern gebraucht, findet man ein paar, aber sucht man ganz bestimmte Romane, kann man auch da schnell mal viel Geld lassen, denn auch gebraucht sind die Bücher größtenteils rar.

Nichtsdestotrotz habe ich mir jetzt zwei verlagsneue Bücher von Octavia E. Butler bestellt. Ich habe mich für die deutsche Ausgabe Kindred — Verbunden entschieden und eine englische Ausgabe mit Erzählungen mit dem Titel Bloodchild – der Band hat allerdings eine üppige Lieferzeit von einem guten Monat. (Die anderen Originale haben eine ähnliche Lieferzeit und tatsächlich sind die meisten englischen Bücher in diesem Fall verhältnismäßig teuer, was wiederum den Zugang für manche Personen wieder erschwert.) Ich bin schon sehr gespannt auf diesen Roman und die Geschichten und werde sicher darüber schreiben.

Zunächst möchte ich aber nochmal einen Gedanken aufgreifen, der mich beschäftigt hat, während ich die Verfügbarkeit ihrer Bücher recherchiert habe. Denn vielleicht fragt sich ja jemand, warum ich mich darüber so lange und breit auslasse an dieser Stelle.

Zensur am entlegenen Ort

Warum finde ich es schlimm, dass die meisten ihrer Bücher nur als E-Books vorliegen?

Zugegeben, ich bin einfach auch kein E-Book-Mensch. Aus einem ganz einfachen Grund: ich bin süchtig nach der physischen Leseerfahrung. Daher fürchte ich einfach, dass E-Books und ich einfach keine Freunde werden. Mein Körper sehnt sich nach einer physischen Leseerfahrung, dass muss man an dieser Stelle einfach sagen. Ich kann mir Lesen nicht ohne die haptische Erfahrung vorstellen; ich brauche aber vor allem immer einen Anker im Text, der mir gut vermittelt, wo ich mich befinde. Ein Text, den ich nur auf einem Bildschirm sehe ist körperlos. Und körperlose Texte zerrinnen mir oft zwischen den Hirnzellen.

Es gibt aber noch einen anderen Grund, warum mich das nicht glücklich macht. Kurzer Gedankensprung: Im Studium hatte ich in einem Semester ein Seminar über DDR-Literatur. Das Thema, das ich mir für die Hausarbeit rausgepickt habe, war Zensur. Mit dem Wissen, was von damals hängengeblieben ist, kann ich nur sagen, dass die beschriebene Situation der verfügbaren Bücher eine Form von Zensur darstellen könnte, die in dieser Art eben leider oft Frauen (oder andere Autor*innen marginalisierter Gruppen) trifft. Es ist dabei eine besonders perfide Art der Zensur, indem sich die Akteure darauf berufen können, dass die Texte doch verfügbar seien. Aber bereits in der DDR hat man gewusst, dass man oft nicht komplett verbieten darf, wenn man etwas kleinmachen möchte, sondern es erlaubt, aber eben nur in bestimmten Rahmen. Das Stichwort ist hier zum Beispiel: Zensur am entlegenen Ort. Texte, die der Staat nicht verbreitet wissen wollte, waren darauf angewiesen in Kleinstverlagen gedruckt zu werden, mit einer sehr geringen Auflage. Ich finde es könnte sich lohnen diesen Gedanken zu entwickeln. Natürlich haben wir hier nicht die gleichen staatlich organisierten Strukturen vorliegen, die in der DDR etabliert worden sind und deswegen kann man vielleicht nicht von einer so bewussten und durchdachten Zensur reden, wenn es um die Art und Weise geht, wie Autorinnen publiziert werden. Dennoch sind es gesellschaftliche Strukturen, die aus Diskrimminierung heraus so gewachsen sind und es ist wichtig diese Pfade zu erkennen, damit man sie auflösen kann.

Und warum finde ich es also schlimm, dass ihre Bücher nur in scheinbar geringen Auflagen produziert wurden, oder zumindest nicht weiter verlegt werden, sodass sie aktuell kaum verfügbar sind?

Leider ist Octavia E. Butler nämlich kein Einzelfall, was die geringe Verfügbarkeit ihrer Titel angeht. U. a. widmet sich Nicol Seifert auf ihrem Blog auch dem Projekt Autorinnen (wieder) zu entdecken, die auf dem Buchmarkt gar nicht bis maximal kaum zu finden sind. 7 Es lohnt sich aber auch insgesamt auf ihrem Blog zu stöbern, es gibt da sehr viel zu entdecken.

Jedenfalls finde ich es daher wichtig sich über die Verfügbarkeit von Büchern, über die Art, wie wir sie konsumieren können, Gedanken zu machen. Weil man sich immer auch die Frage stellen muss: Warum ist das in diesem Fall so? Wer immer antwortet: Vielleicht sind die Bücher dann ja einfach nicht relevant!, der macht es sich sehr einfach. Der wird nie erkennen, welche Strukturen vielleicht dahinter stecken und diese vor allem auch nie reflektieren. Literatur, als Erfahrung für den Einzelnen, wie auch als “Speichermedium” für die Gesellschaft in der wir leben (wollen), ist so wichtig. Zu wichtig um die diversen Erfahrungen und Lebensrealitäten zu unterschlagen. Das mag jetzt pathetisch klingen, ist deswegen aber nicht weniger real.


  1. SPEX-Podcast Folge 10: Covid-19: Alles wieder “normal”?, https://spex.de/covid-pandemie-normalitaet-spex-podcast-folge-10/, — zuletzt eingesehen am 23.05.2020. ↩︎

  2. Vgl. SPEX-Podcast Folge 10, 1:00:39-1:06:41. ↩︎

  3. https://de.wikipedia.org/wiki/Octavia_E._Butler — zuletzt eingesehen am 23.05.2020. ↩︎

  4. Deutschlandfunk Nova hat am 02.04.2019 über die Ereignisse in der Sendung Update berichtet https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/wikifueralle-streit-um-autorinnen-liste-bei-wikipedia — zuletzt eingesehen am 25.05.2020. ↩︎

  5. https://en.wikipedia.org/wiki/Octavia_E._Butler — zuletzt eingesehen am 25.05.2020. ↩︎

  6. https://www.buchhandel.de/suche/ergebnisse?query=octavia%20e.%20butler — zuletzt eingesehen, am 23.05.2020. ↩︎

  7. https://nachtundtag.blog/autorinnen-wiederentdecken-2/ — zuletzt eingesehen, am 25.05.2020. ↩︎